Die Bürger von Calais

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Historischer Hintergrund

Allgemeine Situation:
Die Ikonographie der Plastik "Die Bürger von Calais" von Auguste Rodin, hat ihren historischen Hintergrund aus der Zeit des Hundertjährigen Krieges.
Bei diesem 116-Jahre andauernden Krieg zwischen 1337-1453, standen sich die beiden "europäischen" Großmächte Frankreich und England gegenüber. Der Grund dieser Auseinandersetzung war ein Streit zwischen Phillip VI. von Valois, einem Cousin des verstorbenen Königs Karl IV, sowie Eduard III., König von England und entfernter Verwandter von Karl IV.
Als Karl IV 1328 verstarb, hinterließ er keinen männlichen Thronfolger. Nach dem salischen Gesetz, welches schon seit 510 die Thronfolgen in Mitteleuropa gesetzlich festlegte, konnte keine Frau die Herrschaft in Anspruch nehmen, weshalb das Erbrecht für die Kapetinger verfiel.

Belagerung von Calais:
Nach zahlreichen kleineren Übergriffen der englischen Armee auf die nordfranzösischen Städte, gelang es Eduard III. nach elfmonatiger Belagerung die Stadt Calais einzunehmen. Für die Engländer war die Einnahme der Stadt von immenser Bedeutung, weil die Distanz zwischen der englischen- und französischen Küste hier nur 34 km betrug und zugleich eine Invasion auf ganz Frankreich möglich machen sollte.


Bei der Karte (siehe rechts) handelt es sich nicht um eine historische Karte von 1346. Sie soll lediglich die exzellente, aus der Sicht der Engländer, geopolitische Lage von Calais verdeutlichen.

Bürger von Calais:
Nach einer neunmonatigen Belagerung der Engländer, sahen die Bürger der Stadt keine Hoffnung mehr, Calais noch dauerhaft verteidigen zu können. So boten sie dem englischen König an, die Stadt unverzüglich zu öffnen, falls man von einer Tötung der Stadtbewohner absehen würde. Eduard III. ging auf dieses Angebot nur bedingt ein. Er forderte die Stadt dazu auf, ihm sechs Bürger zu entsenden, die er demonstrativ vor der Stadt hinrichten lassen wollte.
Unerwartet aus der Sicht von Eduard III. erschienen der Stadtälteste Eustache de Saint-Pierre, Bürgermeister Jean d'Aire, Jacques und Pierre de Wissant, Jean de Fiennes, sowie Andrieu d'Andres barfüßig und in zerrissenen Kutten vor den Stadt und boten ihre Leben für das der Stadt an. Symbolisch trugen die "Todgeweihten" Stricke um den Hals und überreichten Eduard III. den Stadtschlüssel. Auf Gnaden der englischen Gattin Phillipa von Hennegau, verschonte Eduard die sechs mutigen Bürger samt ihrer Stadt.

Ausblick:
Überraschenderweise stoppte Eduard III. den Feldzug gegen die Franzosen, der erst acht Jahre später, mit dem Angriff auf Bordeaux, neu beginnen sollte.
Der hundertjährige Krieg endete zwischen 1436-1453, als die Franzosen die verlorenen Gebiete in Nord- und Mittelfrankreich zurückeroberten und in England das Parlament den König als Machtinstrument ablöste.
Der Anspruch auf Frankreich hielt jedoch bis Anfang des 19. Jahrhunderts an. Englische Monarchen bestanden auf den Titel "König von Frankreich" und verzichteten erst 1820 auf ihre euphemistische Titulierung.

Stichwortanalyse Pierre de Wissant

Name: Pierre de Wissant
Maße: ca. 2m groß
Epoche: Impress/Expressionismus
Material: Bronze
Betrachterperspektive: - Leicht Überlebensgroß
- Blickpunkt auf Brust
Proportion: Korrekte Darstellung
Äußere Erscheinung: verzweifelt, resigniert, niedergeschlagen, ratlos
Soziale Rolle: Äußerlich: Ärmliche Verhältnisse
Reell: Angesehener Bürger
Hintergrund: Eduard III. verlangte, dass die sechs angesehensten Bürger der Stadt Calais, ihm mit einem Strick um den Hals den Stadtschlüssel überbringen.


Stichpunktartige Bildbeschreibung:
Pierre de Wissant - Mann - Alter 30-40 - wenig Haare - trägt Lumpen wegen langer Belagerung der Engländer - dürre Statur - verzweifelter Blick auf den Boden - offener Mund - Gesicht ist gezeichnet durch die Belagerung d.h. eingefallenes Gesicht - Gerichtetheit geht vom Betrachter weg - erhobene Hand -> Gebet? - trägt symbolisch einen Strick auf der Schulter - oberhalb der Brust nackt - Hals (symbolisch für die Darbietung, Hals = verwundbare Stelle) wird exzessiv dargeboten.

Ikonographie

Erörtere, in welcher Weise die ganze Plastik den ikonographischen Hintergrund zum Ausdruck bringt:

Die Plastik "Die Bürger von Calais" von Auguste Rodin gilt als maßgeblicher Wegbereiter für die plastische Kunst des frühen Expressionismus. Eine deutliche Distanzierung vom Impressionismus lässt Rodin bereits in den Ausdrucksstarken Gesichtern der sechs Bürger erkennen. Vielmehr trägt jedoch der Historische Hintergrund und die Intention, diesen Menschen ein Denkmal zu setzen, zur Schaffung dieser Plastik zur Expressionistischen Note bei.

Der Ikonographische Hintergrund wird von Rodin nahezu perfekt umgesetzt. Zweigliedrig stehen sechs der angesehensten Bürger von Calais in teils verzweifelter und deprimierter Mimik ihrem Schicksal ins Auge. Die neunmonatige Belagerung der Engländer hat deutliche Spuren an Kleidung, Statur und Gesichtsausdruck hinterlassen, weshalb der Laie zuerst von ärmlichen sozialen Verhältnissen ausgehen würde. Ergänzt wird die Schmach durch die Stricke, die von den barfüßigen Bürgern um Hals oder Schulter getragen werden.

Das Besondere der Plastik drückt sich in den sechs verschiedenen Gesten und Mimiken aus. Alle sechs scheinen mehr oder weniger mit sich selbst beschäftigt zu sein und fassen ihr persönliches Kismet unterschiedlich auf. Während Pierre de Wissant vor Verzweiflung ein Gebet beginnt, geht der Blick von Jean d'aire, der den Stadtschlüssel in den Händen hält, ins leere. Diese nahe Schwelle zum vorhersehbaren Tod lässt jeden einzelnen in sich gehen und das vergangene Leben wird auf unterschiedlichste Art und Weise rekapituliert.

Demokratisches Denkmal

"Rodins Meisterwerk besteht genaugenommen aus Einzelfiguren, die zur Gruppe arrangiert sind. Gerade daraus bezieht das Ensemble seine Ausdruckskraft: Vor uns stehen einerseits Individuen, die andererseits das gemeinsame Schicksal eint. Die "Bürger von Calais" gelten deshalb als erstes demokratisches Denkmal." ¹

Man nennt das Denkmal von Auguste Rodin "Die Bürger von Calais" auch "demokratisches Denkmal", weil sie als Individuen das Kollektiv widerspiegeln. Die einzelnen Bürger zeigen sich als völlig unterschiedliche Persönlichkeiten, die aber durch das selbe Schicksal geeint scheinen. Das Gemeinwohl und die Verantwortlichkeit gegenüber den anderen Bürgern der Stadt Calais stand hierbei an erster Stelle.
Essenziell von Ausdruckskraft sind die unterschiedlichen expressiven Gestikulationen und Mimiken der Einzelpersonen. Trotz ihres gleichen Schicksals fassen sie die Situation ganz unterschiedlich auf und bilden somit den differenzierten Einblick in die damalige Gesellschaft von Calais auf eine kollektive Art und Weise.

Quellen