Nachtgesang (1911) - Jakob van Hoddis

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Jakob van Hoddis 1. Das Abendrot zerriß die blauen Himmel.
2. Blut fiel aufs Meer. Und Fieber flammten auf.
3. Die Lampen stachen durch die junge Nacht.
4. Auf Straßen und in weißen Zimmern hell.

5. Und Menschen winden sich vom Lichte wund.
6. Die Strolche schreien. Kleine Kinder schluchzen,
7. Von Wäldern träumend, ängstlich. Ein Verrückter
8. Hockt lauernd auf im Bette: Soll ich fliehen?

9. "Was sind wir aus dem Mutterleib gekrochen
10. Denn jeder möchte doch ein andrer sein.
11. Und jeder bohrt dir seine Augen ein
12. Und drängt sich schamlos ein in deinen Traum
13. Und seine Glieder sind an deinen Knochen
14. Als gäb es keinen Raum.

15. Und Menschen wollen immer noch nicht sterben
16. Und keiner wallt so einsam wie der Mond.
17. Und selbst der Mond bedeutet nur Verderben.
18. Denn seine Liebe wird mit Tod belohnt.-

19. Tief unter mir erstirbt die kranke Nacht.
20. Und grauenhaft steigt bald der Morgen auf.
21. Flugs schlägt er tot das Schwarz.
22. Was tut er wilder
23. Als Bruder gestern, den die Nacht verschlang?“

24. Trompetenstöße vom verfluchten Berge-
25. Wann sinken Land und Meer in Gott?

Gedichtprofil

Allgemein
Name: Nachtgesang
Autor: Jakob van Hoddis
Veröffentlicht: 1911
Epoche: Expressionismus
Gattung: Gedankenlyrik

Formal
Verse: 25
Strophen: 6
Metrum: nicht regelmäßig
Reimschema: nicht regelmäßig
Reimart: nicht regelmäßig
Kadenz: männlich und weiblich

Sprachlich/Stilistisch
Wortfelder: Natur, Mensch
Adjektive: blau, jung, hell, grauenhaft, verflucht
Tempus: Präteritum
Stilmittel: Metapher (V.1,21), Parataxe (V.2), Enjambement (V.6,7,9,11,12,13,22), Repetitio (Strph.3,4), Personifikation (V.19,23), Ellipse (V.24)

Erzähler
Lyrisches Ich: Ja
Perspektive: Auktorial
Haltung: distanziert

Analyse und Interpretation


Der Dichter Jakob van Hoddis sah sich zu der Zeit, als das Gedicht „Nachtgesang“ entstand, einer Welt gegenüber, die von Chaos, Auflösung und Verzweiflung geprägt war. Die zersplitterten Aspekte ließen sich nicht mehr zu einem ganzheitlichen und sinnvollen Gesamtgefüge zusammensetzen. Verbunden mit der Hoffnung auf einen Neuanfang, der die vernichtete Welt gereinigt wieder auferstehen lassen sollte und einer gleichzeitigen existentiellen Orientierungslosigkeit handelt das Gedicht „Weltende“ ähnlich wie „Nachtgesang“ von der Lage des Menschen angesichts einer bedrohlichen Umwelt. Während van Hoddis in „Weltende“ den Untergang noch aus ironischer Distanz beschreibt („Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut“ oder „An den Küsten- liest man- steigt die Flut“) und das menschliche Dasein ins Bedeutungslose und Trivial-Lächerliche zieht, ist diese in „Nachtgesang“ zugunsten eines emotionaleren Tonfalls aufgegeben.
Das expressionistische Gedicht „Nachtgesang“ von Jakob van Hoddis ist aus 6 Strophen aufgebaut, die in Zeilenlänge und Zeilenzahl variieren. Zwei Strophen weisen Reime auf. In diesen Strophen (3 und 4) findet sich ein Metrum bzw. ein Rhythmus. Das Gedicht lässt sich in drei Abschnitte gliedern. Die erste Strophe steht im Präteritum und behandelt die Vergangenheit, die zweite Strophe zeigt die Gegenwart und ist im Präsens geschrieben. Zur Gegenwart gehört auch die direkte Anrede, die sich von Strophe 3 bis Strophe 5 erstreckt. Die letzten zwei Verse verweisen auf die Zukunft. Das Gedicht weist also eine chronologische Abfolge auf.

Der Titel „Nachtgesang“ weckt Assoziationen von romantischer Idylle, die so gar nicht zum Inhalt des Gedichts passen wollen. Der Dichter durchbricht die Erwartungshaltung des Rezipienten schon in der ersten Zeile durch den gewalttätigen Vorgang des Zerreißens. Diese Irritation sichert ihm gleich die Aufmerksamkeit des Lesers. Der Nachtgesang ist wohl die direkte Anrede, die ja liedähnlich (Reim) dargestellt ist. Allerdings wird auch diese Harmonie in Strophe 5 zerstört. Der Nachtgesang ist nicht etwa ein Loblied auf die Nacht, keine Sehnsucht nach mystischer Vereinigung, sondern eine Klage über und eine Anklage gegen sie und auch auf den Tod, den sie symbolisiert. Auch singt nicht etwas die Nacht in geheimnisvoller Atmosphäre, wie man es in einem romantischen Gedicht hätte finden können. Die einzigen akustischen Eindrücke des Gedichts sind Schreie, Schluchzen und Trompetenstöße, nicht etwa himmlische Sphären- oder Harfenklänge.

Die erste Strophe beschreibt die Vergangenheit und gibt somit die Erklärung für den Zustand der Gegenwart. „Das Abendrot“ beschreibt einen Vorgang des Untergehens, des Sterbens, das natürliche Licht verschwindet. Durch dieses Vergehen zerreißt es die „blauen Himmel“. Die Harmonie ist zerstört, das schöne Wetter dahin., damit auch die klare Sicht, der Tag ist zu Ende. Die Antithese rot- blau, der Gegensatz warm-kalt beschreiben dieses Aufeinanderprallen von Widersprüchen (z.B. Feuer- Wasser) in der eine (Subjekt: „Abendrot“) die andere (Objekt: „blaue(n) Himmel“) vernichtet. Die Folge: Blut fällt aufs Meer. Das Meer ist wie der Himmel und die Farbe Blau ein Symbol für Sehnsucht, Weite und Transzendenz. Das Bild erinnert an den nihilistischen „Mord Gottes“, dessen Blut vom Himmel nun in einer Abwärtsbewegung zur Erde fließt. Die Einheit ist zerstört, Rot und Blau vermischen sich. Die klare Zuordnung ist so nicht mehr möglich. In der gleichen Zeile flammen als unmittelbare Folge Fieber auf. Die Konsequenz der metaphysischen Leere ist also ein krankhaftes Verlangen nach Höhe, die Reaktion ist unerfüllbare Sehnsucht. Die Nomen „Abendrot“, „Blut“ und das Verb „flammen“ gehören zur Farbgruppe Rot. Inhaltlich drücken sie etwas Gewalttätiges aus. Statt blauer Himmel gibt es nun „flammende“ (rote) „Fieber“. Statt Klarheit und Ruhe, die zuvor geherrscht haben, verzehrt nun eine Krankheit die Menschen. Die zwei knappen Parataxen in Zeile 2 verdeutlichen die Unmittelbarkeit der Abfolge dieses Vorgangs.

Statt natürlichem Licht gibt es nun Lampen, also künstliches, vom Menschen erzeugtes Licht. Diese „stechen“ durch die „junge Nacht“. Die Qualifizierung der Nacht als „jung“ lässt darauf schließen, dass sie gerade eben erst „geboren“ wurde. Das zerstörerische Abendrot hat sie verursacht. Der Ausdruck „stechen“ impliziert abermals eine gewalttätige, destruktive Handlung; die Lampen stechen wie Waffen Löcher in die Dunkelheit, können sie aber nicht ganz erhellen. Auch stellen sich hier Assoziationen zu „die Augen ausstechen“ in Verbindung mit dem Wortfeld des Sehens ein. Die Allmacht des Himmels ist einer begrenzten, vergeblichen Bemühung des Menschen gewichen. Um den Lesefluss zu beschleunigen und die Intensität des Gesagten zu erhöhen steht hier eine Alliteration („durch die“), die die Stoßbewegung des Lichts veranschaulicht, ebenso wie in Vers 2 („fiel“, „aufs“, „Fieber“, „flammten auf“), wo die Alliteration die Dynamik des Geschehens hervorhebt.
In Vers 4 verschwinden die bestimmten Artikel in einem elliptischen Satz. Das Fehlen von Orientierung und Halt schlägt sich hier in der Form nieder. Während die ersten drei Zeilen bestimmte historische Gegebenheiten behandeln, bezieht sich Vers 4 auf die allgemeine Lage der Menschen. Die Wege der Menschen und ihre Wohnungen sind hell ausgeleuchtet. Das Adjektiv „weiß“ evoziert einen unangenehmen optischen Eindruck und erinnert an grelles, steriles Licht, wie z.B. in einer Klinik, in der sich der Verrückte aus Vers 7 auch befinden könnte.

Mit der Eingangsstrophe beschreibt der Dichter die Epoche der Aufklärung, die die bisherige Weltsicht „zerriß“ und so für eine Verunsicherung der menschlichen Seinsverfassung gesorgt hat. Das Licht der Aufklärung bietet dem Menschen kaum Halt und Orientierung, sondern wird eher als bedrohlich empfunden. Der natürliche Ablauf und der Bezug zur Natur sind gestört. In der ersten Strophe kommt dreimal die Richtungsangabe „auf“ vor. Diese wiederholt sich in Vers 8. Neben einem Hinweis auf die Aufklärung biete sie auch einen Hinweis auf das Aufbegehren des Menschen gegen die Welt.

Das helle Licht macht die Menschen krank und lässt sie leiden. Sie „winden“ sich vor Schmerzen, die das Licht verursacht. Sie könne ihm nicht entkommen. Die sinntragenden Wörter „winden“ und „wund“ sind durch Alliteration verknüpft. Ähnlich verhält es sich mit „Strolche schreien“ und „kleine Kinder schluchzen“ in Vers 6. Der Umstand, dass selbst Strolche schreien, die ja naturgemäß eher unbeschwert durchs Leben gehen, zeigt, dass es nicht möglich ist, dem Licht zu entfliehen, es zu verdrängen. Kinder (das Adjektiv „klein“ macht den Ausdruck zu einem Pleonasmus, das es zum Wesen eines Kindes gehört, dass es klein ist) schluchzen ängstlich, weil sie von Wäldern träumen. Das Adjektiv „ängstlich“ ist asyndetisch an den Satz angehängt und verdeutlicht das Drängen dieses Gefühls. Die Angst der Kinder vor dem Wald ist die Angst, sich zu verlaufen. Ohne die Eltern sind sie orientierungslos und verloren, da der große Vater ja bereits in Dunkelheit aufgelöst ist. Die Verse 6 und 7 weisen Zeilensprünge auf und spiegeln die rasche Abfolge der Personensprünge wider, die durch das Thema verknüpft sind. Van Hoddis reduziert die Menschheit auf Strolche, Kinder und Verrückte, der nun auch auftritt.
Der Verrückte ist nicht nur verrückt im Sinne von wahnsinnig, sondern auch in seiner vorgesehenen syntaktischen Stellung, er steht an exponierter Stelle, ist aber durch Zeilensprung vom Anfang des Satzes getrennt. Verrückt ist er aber auch durch den Verlust der Mitte und des Gleichgewichts. Statt einer gesunden Balance weist er den Hang zum Extrem auf. Verrückt ist er auch in Bezug auf das Bett: Er schläft, liegt, dort nicht, sondern „hockt lauernd auf“ und fragt sich, ob er fliehen soll. Diese Frage scheint ihn am Schlafen und wohl auch am Erwachen- Wollen zu hindern. Er scheint sich bedroht zu fühlen und lehnt sich gegen Welt und Alltag auf. Die Frage, ob er fliehen soll, ist die Frage, ob das Leben lebenswert ist. Dieses erscheint ihm als Gefahr, der er wiederum mit Aggressivität bzw. Angriffsvorbereitung (lauern) begegnet.

Die zweite Strophe beschreibt den Status quo. Die Aufklärung und ihre Veränderungen bereiten den Menschen Schmerz, hindern sie am Schlafen. Sie suchen nach Hilfe und Orientierung, nach Sicherheit und Antworten. Die Verzweiflung kann sie sogar in den Wahnsinn treiben. Die Ortsangabe „auf“ (Assonanz mit „lauernd“) zeigt die Haltung der Menschen als Auflehnung und als Protest gegen die Wirklichkeit.

Die direkte Anrede in Strophe 3 beginnt mit der rhetorischen Frage, warum man denn überhaupt geboren wurde, warum man aus der sicheren Höhle „gekrochen“ ist. Van Hoddis benutzt das Personalpronomen “wir“ und spricht so die gesamte Menschheit an, identifiziert sich selbst als Teil von ihr und spricht den Leser direkt an. Das Leben bringt keine Zufriedenheit, „jeder möchte ein andrer sein“. Jeder Mensch leidet an unerfüllbaren Sehnsüchten, z.B. der nach Unsterblichkeit. Weitere Begründungen für die Sinnlosigkeit des Geboren- Werdens folgen als Parallelismus: Nun kritisiert der Sprecher die Einflussnahme der anderen auf sein Leben. Die Perspektive, aus der man die Welt sehen muss, wird „eingebohrt“. Selbst intime Träume werden manipuliert. Auch die Bewegungen kommen nicht von einem selbst, sondern von „seinen Gliedern an deinen Knochen“. Der Irrealis „als gäbe es keinen Raum“ verneint zwar die völlige Abwesenheit von Freiheit, zeigt aber auf, wie nahe dieser Schluss liegt. Der Sprecher leidet am Determinismus der Gesellschaft und des Lebens an sich.

Antithetisch zu diesem Müssen (Geburt, Unfreiheit, Außenseitertum) steht das Wollen in Zeile 15. Der Mensch wehrt sich gegen den Tod. Der Ausdruck „immer noch“ betont, dass es schon immer so war und sich auch durch die im Grunde hoffnungslose Lage nicht geändert hat. Der Grund dafür könnte die Liebe sein, die verhindert, dass jemand „so einsam wie der Mond wallt“. Der Mond selbst ist aber nicht mehr romantisches Symbol, er „bedeutet nur Verderben“, „seine Liebe wird mit Tod belohnt“. Wer ihn liebt, stirbt. Dies könnte ein Hinweis auf die Krankheit des Verrückten sein,, da der Mond auch Symbol des Wahnsinns ist. Der Wahnsinn führt zum Tod, aber auch die Liebe entgeht ihm nicht. Der Ausdruck „mit Tod belohnen“ ist ironisch gemeint, denn weder Verdienst noch Lohn stehen wirklich zur Wahl.

Die Strophen 3 und 4 weisen Reime auf und sind vor allem durch u- und o- Vokale in eine unheimliche Atmosphäre gekleidet. Die Parallelismen und Repetitio („Und“, „Denn“, „Mond“) verliehen dieses Strophen Liedcharakter. Das Reimschema in Strophe 3 (abbcac) ist ungewöhnlich und auch die Silbenanzahl der Verse variiert stark. Trotzdem wirken diese Strophen rhythmisch und eindringlich. Mit dieser Formgestaltung veranschaulicht der Dichter das verzweifelte Festhalten und den Versuch, die Welt durch den Geist sinnvoll zu ordnen.

Von der 4. Strophe durch einen Gedankenstrich getrennt, der das Verstreichen von Zeit symbolisiert, beginnt die 5. Strophe mit dem Gefühl des nahenden Morgens: „die kranke Nacht erstirbt“. Die Nacht vergeht, stirbt, vielleicht macht die Morgendämmerung die Nacht schon ein wenig hell, also bleich, sie scheint zu kränkeln, langsam dahinzuschwinden. Der Morgen wird verbunden mit Grauen, das er bringt bzw. durch sein Licht offen legt. Die Antithese „tief unter mir“ und das „aufsteigen“ zeigt den großen Unterschied, die Kluft. Die Sonne wird zu einer unbestimmten Zeit aufgehen. In den Zeilen 21-23 finden wieder Metaphern aus dem Bereich der Gewalt Verwendung. „Flugs (Etymologische Verbindung zu „aufsteigen“, „fliegen“) schlägt er (der Morgen) das Schwarz tot.“ Die Inversion betont die Endgültigkeit des Verschwindens des Schwarz, der Nacht. Dies lässt sich durchaus ambivalent bewerten. Einerseits als Tod des Versöhnenden, andererseits als Befreiung zur Helle hin. Dieser Vorgang wird vom Sprecher nicht als schlimm bewertet. Dieser Morgen ist wie sein „Bruder Gestern“, der wiederum von der Nacht „verschlungen“ wurde. Also doch der pessimistische Ton einen monotonen, leeren Alltags. Die rhetorische Frage lässt erkennen, dass der Sprecher im Wechsel von Tag und Nacht keinen Sinn finden kann. Der Wechsel ist nicht harmonisches Gesetz, sondern ein gegenseitiges Umbringen, Chaos. Die Natur wirkt feindselig durch Metaphern wie „verschlingen“, „totschlagen“ oder dem Adjektiv „wild“; das alles erinnert an wilde Tiere. Der Morgen ist zwar immer ein wenig anderes, aber im Kern bleibt er doch derselbe. Die Morgen sind untereinander verschwistert. Durch diese Personifikation wirkt das Geschehen noch grausamer.

Die direkte Anrede ist nun abgeschlossen. Die letzte Strophe besteht nur noch aus zwei Versen. Die Ellipse in Vers 24 lässt offen, ob das lyrische Ich, das bisher als Beobachter fungierte, die Trompeten hört, ahnt oder herbeiwünscht. Der Gedankenstrich verbirgt weiter Informationen. Das Bild erinnert an die Trompeten von Jericho, der verfluchte Berg könnte der Berg Sinai, der Sitz Gottes sein. Ein Fluch von diesem Ort könnte die Endzeit eingeleitet und zur Gegenwart geführt haben. Der Begriff „(Trompeten-) stöße“ weist wieder auf Gewalt hin. Die Ankündigung der Apokalypse führt zu der Frage in Zeile 25, die unbeantwortet bleibt. Es ist nicht die Frage, ob das Weltende kommt, sondern wann „Land und Meer sinken in Gott“. Dies erinnert an den Schöpfungsbericht. Dort existiert vor Erschaffung der Welt nur die Urflut, das Chaos, in gewissem Sinne Nichts. All das, das Gott geschaffen hat, fließt nun in ihn zurück. Das Verb „sinken“ verhält sich antithetisch zu christlichen Vorstellungen wie z.B. das Dogma der Auferstehung. Am Ende des Gedichts steht Gott. Er ist Ursprung und Endziel. Am Ende entsteht wieder eine gewisse Harmonie, eine einheitliche negative Essenz. Die Zukunft wird Zerstörung bringen und es ist nicht gesagt, dass Land und Meer wieder steigen werden. Der Untergang ist gewiss, ob er ein Neuanfang wird, fraglich.

Jakob van Hoddis drückt in seinem Gedicht die Gefühle und Gedanken der Menschen seiner Zeit aus. Nach der Zeit der Aufklärung, der Technisierung und der stetigen Profanisierung der Welt sahen sie sich mit Anonymität, Orientierungslosigkeit und abstrakten wie konkreten Bedrohungen gegenüber. Die Monotonie und Eintönigkeit quälte viele Dichter als alltägliche Lebenslangeweile. Der Sinn des Lebens war nicht mehr zu eruieren. Das Wissen um Bedeutungs- und Ziellosigkeit des Lebens war allgegenwärtig. Die Grauen des Weltkriegs schürten die Angst des Weltuntergangs, aber auch die Hoffnung auf einen Neubeginn. Die alten Werte waren nicht mehr tragbar, die Klage des lyrischen Ichs richtet sich auch gegen das Gesellschaftssystem. Die große Veränderung sollte dieser „verrückten“ Welt und ihrer Disharmonie eine Ende machen. So entlässt van Hoddis den Leser auch nicht mit der bloßen Klage, sondern stellt der Verzweiflung, dem Hilfe- Suchen in einer feindlichen Umwelt und dem flammenden Fieber die Aussicht einer Vereinigung der Gegensätze Land- Meer, fest- flüssig, greifbar- ungreifbar, Verwurzelt- Sein- Sehnsucht entgegen. In Gott fallen diese Antithesen zusammen und schließen die innere Gespaltenheit des Menschen, die aus dem Gegensatz Körper- Geist entsteht. Somit zielt er auf eine Überwindung der kognitiven Dissonanz, um der Welt die Harmonie vielleicht doch noch vor dem Untergang zu einem hypothetischen Neubeginn zurückzugeben.